Neue Studie: Bei immer wĂ€rmerem Wetter und sich verĂ€ndernden Niederschlagsmustern könnte der Viehbestand fĂŒr die afrikanische Landwirtschaft ĂŒberlebenswichtig werden
Einer neuen Studie von Forschern des International Livestock Research Institute (ILRI) in Nairobi sowie der britischen Waen Associates zufolge könnten wĂ€rmere klimatische Bedingungen im Verein mit sich verĂ€ndernden Niederschlagsmustern bis zum Jahr 2050 dazu fĂŒhren, dass 500 0000 bis eine Million Quadratkilometer marginaler afrikanischer AnbauflĂ€chen nicht mehr in der Lage sein werden, die Produktion einer fĂŒr den eigenen Lebensunterhalt ausreichenden Menge von FeldfrĂŒchten zu unterstĂŒtzen. Das Land, auf dem derzeit etwa 20 bis 35 Millionen Menschen leben, kann allerdings nach wie vor der Viehzucht dienen.
FĂŒr Millionen armer Landwirte in ganz Afrika könnte die VerstĂ€rkung der Viehproduktion eine attraktive Alternative bieten. In den kommenden Jahrzehnten werden sie möglicherweise feststellen, dass sich ihr Land aufgrund des Klimawandels zwar nicht mehr fĂŒr den Ackerbau verwenden lĂ€sst, aber immer noch fĂŒr die Aufzucht von Tieren geeignet ist. Das ergab eine Studie, die in dieser Woche in einer Sonderausgabe der Zeitschrift Environmental Science and Policy erscheint.
âTiere, vor allem solche, die bekanntermaĂen Hitze und DĂŒrre gut vertragen, können in Bedingungen ĂŒberleben, die fĂŒr FeldfrĂŒchte viel zu hart sindâ, sagte ILRI-Wissenschaftler Philip Thornton, einer der Autoren des Beitrags. âViehbestĂ€nde können arme Haushalte vor den Risiken des Klimawandels schĂŒtzen, und sie ermöglichen ihnen, von der wachsenden Nachfrage nach Tierprodukten in Afrika zu profitieren.â
âDer Viehbestand muss nachhaltig gesteigert werdenâ, sagte Carlos SerĂ©, Generaldirektor des ILRI, eines der 15 von der Consultative Group on International Agricultural Research (Beratungsgruppe fĂŒr internationale Agrarforschung, CGIAR) geförderten Forschungszentren. âUnsere Forschungen haben ergeben, dass in zahlreichen Gebieten Afrikas wĂ€hrend der kommenden Jahrzehnte klimatische AnfĂ€lligkeiten im Verein mit der Marktnachfrage nach Tierprodukten viele Agrargemeinschaften dazu bringen werden, den Viehbestand ihrer Landwirtschaft zu vergröĂern. Auf diesen zwangslĂ€ufigen Umstand mĂŒssen wir uns bereits heute vorbereiten.â
Die Untersuchung gehört zu einer in der Zeitschrift veröffentlichten Studienreihe, die aus einer Konferenz an der Oxford University ĂŒber Nahrungsmittelsicherheit und Umweltwandel im April 2008 hervorging. Ihre Veröffentlichung fĂ€llt mit einer Konferenz zusammen, die in dieser Woche in Bonn stattfindet. Dort werden Experten aus der ganzen Welt erörtern, wie ein neues, weltweites Klimawandel-Abkommen der armen Landbevölkerung Anpassungsstrategien zur VerfĂŒgung stellen kann.
Thornton und sein Kollege Peter Jones von den britischen Waen Associates ermittelten zunĂ€chst, welche von der Landwirtschaft abhĂ€ngigen Gebiete Afrikas am anfĂ€lligsten fĂŒr die Auswirkungen des Klimawandels sind. Ihr Hauptaugenmerk legten sie dabei auf so genannte marginale AnbauflĂ€chen â trockene und halbtrockene Regionen West-, Ost- und SĂŒdafrikas, wo beispielsweise karge NiederschlĂ€ge bereits jetzt regelmĂ€Ăig in einer von sechs (oder
weniger) Anbauperioden zu ErnteausfĂ€llen fĂŒhren.
Sodann untersuchten die Forscher die Auswirkungen des Klimawandels in diesen Regionen. Sie fanden heraus, dass selbst dann, wenn der Klimawandel durch weltweit reduzierte Kohlenstoffemissionen etwas gemĂ€Ăigt wird, höchstwahrscheinlich immer noch eine groĂe Zahl von Landwirten mit einer Verschlechterung der Anbaubedingungen rechnen muss. MaĂgeblich war dabei in erster Linie die Frage, ob der Klimawandel gemÀà zwei weit verbreiteten Klimamodellen â mit Vorhersagen auf der Grundlage von Szenarien hoher und niedriger Treibhausgasemissionen â dazu fĂŒhren kann, dass die Anzahl der âsicheren Anbautageâ in den Jahren 2000 bis 2050 auf unter 90 sinkt.
Die Forscher kamen zu dem Schluss, dass bei Szenarien mit unverĂ€ndert hohen Kohlenstoffemissionen die Anzahl der sicheren Anbautage fĂŒr fast eine Million Quadratkilometer marginaler AnbauflĂ€chen in Afrika auf unter 90 sinken wĂŒrde. Auf der Grundlage eines âniedrigeren Emissionsszenariosâ sagen sie voraus, dass etwa 500 000 Quadratkilometer die 90-Tage-Marke verfehlen wĂŒrden.
Die Forscher warnen davor, dass dann, wenn in diesen Gebieten die Dauer der sicheren Anbauperioden auf unter 90 Tage sinkt, âder jetzt bereits marginale Maisanbau als normale landwirtschaftliche TĂ€tigkeit im Grunde genommen nicht mehr möglich sein wird.â An einigen Stellen könne der Regen so knapp werden, dass âselbst dĂŒrrebestĂ€ndige FeldfrĂŒchte wie Hirseâ schwer anzubauen sein werden. Unter diesen Bedingungen könne das Vieh fĂŒr die
ErnĂ€hrung ebenso entscheidend werden wie fĂŒr die Erzielung von EinkĂŒnften.
Der Studie zufolge ermöglicht der Viehbestand insbesondere jenen auf marginalen AnbauflĂ€chen ums Ăberleben kĂ€mpfenden Landwirten eine erhebliche Einkommenssteigerung, die nicht weiter als eine Tagesreise von einer der afrikanischen StĂ€dte entfernt sind. Dort könnte eine wachsende Nachfrage nach Fleisch und Milchprodukten lukrative MĂ€rkte eröffnen.
Thornton und Jones wiesen darauf hin, dass es keine neue Idee ist, das Vieh als Bollwerk gegen schwierige klimatische Bedingungen zu betrachten. In ganz Afrika, so merken sie an, âerwies sich das Vieh als wichtiger BewĂ€ltigungsmechanismus fĂŒr Arme, die unter schwierigen Umweltbedingungen versuchen, ihr Auskommen zu sichern.â
Nach Aussage Thorntons besteht das Ziel der Forschungsarbeit letztlich darin, anhand von Klimawandel-Vorhersagen bestimmte, möglicherweise relativ kleine Gebiete in Afrika auszumachen, wo es sich lohnt, den Besitz von Vieh auf Kleinbauernhöfen zu fördern und den Landwirten beim Umgang mit den damit einhergehenden Risiken zu helfen. Diese Art von Forschung könne allerdings, sollte sie zur Beeinflussung politischer Entscheidungen herangezogen werden, in hohem MaĂe von der Erhebung besserer Daten profitieren. Hierzu zĂ€hlen Daten, mit denen mögliche Ortstemperaturen und Niederschlagsmuster in der Zukunft vorhergesagt werden können.
Wie er und Jones allerdings einrĂ€umen, âherrscht derzeit ein MissverhĂ€ltnis zwischen jener dringend erforderlichen Art von lokalisierten Informationen ĂŒber Klimawandelauswirkungen und dem, was objektiv zur VerfĂŒgung steht.â
So bestehe etwa ein Konsens darĂŒber, dass die Temperaturen signifikant ansteigen werden. Doch stimmten in groĂem, regionalem MaĂstab verschiedene Klimamodelle nicht immer darin ĂŒberein, in welchem AusmaĂ der Klimawandel Regenmengen und Niederschlagsmuster in einigen Teilen Afrikas beeinflussen könnte. Investitionen zur Beschaffung derartiger Angaben böten jedoch mit Sicherheit die Möglichkeit, Hilfsprogramme zur Linderung der Armut unter der armen Landbevölkerung Afrikas, deren ErnĂ€hrung und Einkommen meistens von Kleinbauernhöfen abhĂ€ngt, mit einem neuen MaĂ an PrĂ€zision und Effizienz auszustatten.
Wie die Forscher auĂerdem anmerken, werden bessere Daten unausweichlich eine Tatsache offenbaren, die manche nicht wahr haben wollen, der man aber dennoch ins Auge blicken muss: In einigen Teilen Afrikas, wo die Anbaubedingungen jetzt bereits schwierig sind, stoĂen die BemĂŒhungen, den Landwirten bei der Anpassung an den Klimawandel zu
helfen, ganz einfach an ihre Grenzen. So hart diese Tatsache sein mag â laut Thornton und Jones mĂŒssen Entwicklungsagenturen und Regierungen eines verstehen: Bei zunehmend unwirtlichen klimatischen Bedingungen fĂŒr die Landwirtschaft wird an einigen Orten möglicherweise âein Punkt erreicht, an dem Haushalte und Agrarbetriebe so stark unter Druck geraten, dass es zu einer Aufgabe der Landwirtschaft nur wenig Alternativen gibt.â
###
Ăber International Livestock Research Institute
Das in Afrika beheimatete International Livestock Research Institute (ILRI) arbeitet an den Schnittstellen zwischen Tierhaltung und Armut und trĂ€gt durch hochqualifizierte wissenschaftliche Arbeit und FortbildungsmaĂnahmen zur BekĂ€mpfung von Armut und zur nachhaltigen Entwicklungsförderung bei. ILRI ist eines von 15 durch die Consultative Group on International Agricultural Research (Beratungsgruppe fĂŒr internationale Agrarforschung, CGIAR) unterstĂŒtzen Zentren. Die Hauptverwaltung ist in Kenia; ein Hauptcampus befindet sich in Ăthiopien. Vor Ort sind auĂerdem Teams in Nigeria, Mali, Mosambik, Indien, Thailand, Indonesien, Laos, Vietnam und China im Einsatz. Weitere Informationen finden Sie unter www.ilri.org.